Iran: »Es geht um das Leben, die Frau und die Freiheit« (2024)

Iran: »Es geht um das Leben, die Frau und die Freiheit« (1)

Die iranischen Regisseur*innen Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam durften für die Erstaufführung ihres jüngsten Films »Keyke mahboobe man« (deutscher Titel: »Ein kleines Stück vom Kuchen«) im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale nicht aus dem Iran ausreisen. Der Film wurde in Abwesenheit der Regisseur*innen in Berlin von der Kritik gefeiert und ist nun in Deutschland im Kino. Er erzählt von einer 70-jährigen verwitweten Frau namens Mahin in Teheran, die versucht, einen neuen Partner zu finden. Das Interview wurde per Zoom geführt, das Paar war in Teheran.

Wir haben im Jahr 2021 miteinander gesprochen, als Sie für die Premiere Ihres Films »Ghasideyeh gave sefid« (»Ballade von der weißen Kuh«) in Berlin waren. Es war ein Tag vor der Präsidentschaftswahl im Iran (bei der der mittlerweile verstorbene ultrakonservative Ebrahim Raisi gewann). Interessanterweise ist es heute auch wieder der Tag vor der Wahl im Iran! Wie ist die Stimmung dort gerade?

(Beide lachen)

Behtash Sanaeeha: Ich weiß nicht, ob dieser Zufall nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist! Es herrscht ja auch dieses Jahr kein stimmungsvoller Wahlkampf. 2021 habe ich Ihnen genau das gesagt. Diese Wahlstimmung, die es einst mal gab, als viele Menschen an der Wahl teilnahmen, gibt es nicht mehr im Iran.

Wie geht es Ihnen momentan? Stehen Sie immer noch unter Reiseverbot?

B. S.: Ja, bald ist es schon ein Jahr, dass wir beide unter Reiseverbot stehen. Alles begann, als die Geheimdienstleute die Wohnung unseres Filmeditors durchsuchten und seine Rechner und Festplatten beschlagnahmten. Zum Glück hatten wir eine Kopie des Films (»Ein kleines Stück vom Kuchen«) in unserem Studio in Frankreich. Als Maryam und ich für die Postproduktion des Films nach Frankreich wollten, haben sie im Flughafen unsere Pässe konfisziert und gesagt, dass seit einer Weile ein Reiseverbot gegen uns verhängt sei und dass das Revolutionsgericht nun darüber entscheiden solle. Seitdem wurden wir ständig verhört, unter Druck gesetzt, dass wir den Film von der Berlinale zurückziehen. Wir haben es abgelehnt und erklärt, dass nur die europäischen Produzenten darüber entscheiden können. Und nun warten wir auf das Gerichtsurteil.

Interview

Behtash Sanaeeha wurde 1979 in der iranischen Stadt Shiras geboren. Nach seinem Bauingenieur­studium begann er Dreh­bücher zu schreiben und führte Regie bei Kurzfilmen, Dokumenta­tionen und Werbe­spots. Sein erster Langfilm »Risk of Acid Rain« (2015) wurde auf über 30 internationalen Festivals gezeigt. 2018 war er Jurymitglied für den Ingmar Bergman Award in Schweden.
Maryam Moghaddam wurde 1970 in Teheran geboren. Nach einem Abschluss an der Performing Arts School in Göteborg arbeitete sie in Schweden als Schau­spielerin an verschiedenen Theatern. Zu den iranischen Filmen, in denen sie spielte, gehört »Closed Curtain« (2013) von Jafar Panahi und Kambuzia Partovis, der bei der Berlinale uraufgeführt wurde und den Silbernen Bären gewann. In »Risk of Acid Rain« war sie die Haupt­darstellerin und Ko-Autorin.
Bei »Ballade von der weißen Kuh« (2021) haben Moghaddam und Sanaeeha zusammen die Regie geführt, Moghaddam spielte auch die weibliche Hauptrolle. Für den Film erhielten sie eine Ein­ladung in den Wettbewerb der 71. Berlinale.
Moghadam und Sanaeeha sind verheiratet und leben in Teheran.

Sie haben die Dreharbeiten des Films »Ein kleines Stück vom Kuchen« schon vor dem Frau-Leben-Freiheit-Aufstand im Iran begonnen. Kurz danach wurde Mahsa (Jina) Amini getötet und der Aufstand begann. Wie war es für Sie, in solch einer Situation den Film fertigzustellen?

B. S.: Wir waren am Boden zerstört, konnten kaum weiterarbeiten, unser Herz war mit den Menschen auf der Straße. Viele von unserem Team sind auch auf die Straße gegangen. So haben wir einige Tage mit dem Projekt ausgesetzt. Erst nach einer Weile kamen wir alle am Hauptdrehort zusammen, in der Wohnung der Hauptfigur Mahin, um miteinander zu reden. Wir dachten, dass dieses Werk auch einen wichtigen Beitrag zu dieser Bewegung leisten kann, denn es geht im Film genau darum: um das Leben, die Frau und die Freiheit. Da wussten wir, dass wir den Film auf jeden Fall fertig machen sollten.

Jahrzehntelang mussten die Filme, die im Iran gedreht wurden, sich dem Hijab-Zwang fügen, Frauen sogar in ihren eigenen Wohnungen, ja im Schlafzimmer mit Kopftuch zeigen und diese Lüge reproduzieren, dass es der Normalzustand der iranischen Frau sei und kein politischer Zwang. Doch »Ein kleines Stück vom Kuchen« hat sich dem nicht mehr unterworfen. In einem Statement zum Film haben Sie geschrieben, dass es nicht länger möglich sei, die Geschichte einer iranischen Frau zu erzählen und gleichzeitig Unterdrückung zu reproduzieren, beispielsweise mit dem obligatorischen Hijab.

Maryam Moghaddam: Wir wussten von vornherein, dass wir deswegen Probleme bekommen können. Doch seit circa 45 Jahren lässt dieser Hijab-Zwang die Iranerinnen, ja die ganze Gesellschaft nicht atmen. Nun hat sich etwas in den Menschen geändert, sodass sie sich dieser Lüge, dieser Unterdrückung nicht mehr unterwerfen können. Das haben wir als Filmemacher*innen mit unserem Drehbuch gezeigt, die Frauen auf der Straße auf eine andere Art, obwohl sie nach wie vor Repressalien und Festnahmen ausgesetzt sind. Irgendwann sagt man: Egal, was mir passieren könnte, mein Gewissen erlaubt mir nicht mehr, diese Lüge weiterzuerzählen.

Nicht jede*r Schauspieler*in ist bereit, vieles zu riskieren und solch eine Rolle zu spielen. Wie geht es Ihren beiden Hauptdarsteller*innen Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi? Sie durften im Gegensatz zu Ihnen ja nach Berlin reisen.

B. S.: Unsere Darsteller*innen haben ein Arbeitsverbot erhalten. Ihre Projekte wurden gecancelt. Man empfiehlt den Produzenten, sie nicht zu engagieren. Das hat Tradition im iranischen Kino. Auch bei Maryam war es jahrelang der Fall, dass die Produzenten mit ihr nicht arbeiteten. Selbst wenn ein Produzent einen Vertrag mit ihr gemacht hatte, bekam er bei den Dreharbeiten einen Anruf, sie bitte zu ersetzen.
Die aktuelle Situation ist so, dass Maryam, ich und unser iranischer Produzent (Gholamreza Mousavi) unter Reiseverbot und unsere Hauptdarsteller*innen unter Arbeitsverbot stehen. Ob es für die beiden Schauspieler*innen in Zukunft so bleibt, wissen wir nicht. Vielleicht hat man mit ihnen etwas Nachsicht, weil sie älter und bekannter sind. Aber die beiden sagten uns auch von vornherein, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatten, dass dieser Film schwere Konsequenzen für sie haben könnte – und trotzdem waren sie bereit, die Konsequenzen in Kauf zu nehmen und beim Projekt mitzuwirken.

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»Ein kleines Stück vom Kuchen« könnte die Geschichte vieler Frauen im Iran sein. Der Film erzählt von dem alltäglichen Wunsch, nicht einsam zu sein, ohne banal zu werden. Es geht um das Leben, aber auch um die Angst vorm Tod. Wie sind Sie vom Thema Hinrichtung – in Ihrem vorherigen Film – nun zu dieser zarten, alltäglichen Liebesgeschichte gekommen?

M. M.: Wir wollten einerseits einen Film über die Bedeutung des Lebens machen, über die Absurdität, die Kürze des Lebens, darüber, dass es sich trotz alledem lohnt zu leben, auch wegen der kleinen Glücksmomente. Das Leben hat ja banale wie philososphische Aspekte. Und gerade die kleinen, simplen Aspekte machen das Leben lebenswert. Andererseits wollten wir, dass unsere Hauptdarsteller*innen ältere Menschen sind, denn im Alter wird die Bedeutung des Lebens tiefsinniger.
Zudem werden Beziehungen zwischen zwei älteren Menschen im Kino weniger gezeigt. Die Produktionsfirmen haben im Laufe der Filmgeschichte unsere Sehgewohnheiten so beeinflusst, dass wir ständig 20-Jährige zu sehen bekommen, die wie Fotomodelle aussehen, und dass wir nur diese attraktiv finden müssen. Wenn wir als Filmemacher*innen aber nicht so denken, dann sollten wir zeigen, dass für uns sogar Menschen, die kurz vorm Tod stehen, attraktiv sind, dass die menschlichen Gefühle, die Liebe im Alter genauso schön sind wie bei den 20-Jährigen. So haben wir uns für diese nicht so oft erzählte Geschichte entschieden.

Als der Trailer des Films in den sozialen Medien veröffentlicht wurde, äußerten viele Iraner*innen, die ja den Film noch nicht gesehen haben, in den Kommentaren ihre Begeisterung allein für den Trailer; etliche fragten ständig, ob dieser Film wirklich im Iran gedreht wurde, weil sie dieses realistische, zensurfreie Bild von ihrem Alltag, von ihrem Leben in einem iranischen Film nicht gewohnt sind. Wie fühlen Sie sich angesichts solcher Kommentare bzw. Reaktionen?

B. S.: Sie werden es kaum glauben, aber manchmal habe ich Tränen in den Augen, wenn ich solche Kommentare lese. So etwas hätte viel, viel früher passieren können. Wie viele Jahre haben wir verpasst, was für Generationen von Filmemacher*innen und Schauspieler*innen hätten solche Filme machen können! Nun zeigt sich das, was 45 Jahre verdrängt wurde, in Form einiger Kommentare; es sind in Worte gefasste Gefühle. Und all das nur, weil die Menschen zum ersten Mal ein realistisches Bild von sich selbst im Kino sehen. Das ist doch das, was Kino eigentlich machen soll: Man möchte ja sich, sein Leben, seine Stadt, seine Gesellschaft im Film wiedererkennen. Und diese Reaktionen bewegen auch uns: Im Vergleich zu unserem vorherigen Film, wo ich mich nicht so sehr mit den Feedbacks und Kommentaren in den sozialen Netzwerken beschäftigt habe, lese ich diesmal die Kommentare, antworte darauf, poste Herzchen.

M. M.: Da wir den Film nicht mit unseren Zuschauer*innen im Kino sehen können, treffen wir die Zuschauer*innen nun in den sozialen Medien. Und selbst ich, die ich den Film ja so oft gesehen habe, bin jedes Mal aufs Neue begeistert, wenn ich das Bild der iranischen Frau ohne Kopftuch in unserem Film sehe.

»Ein kleines Stück vom Kuchen«, Iran, Frankreich, Schweden, Deutschland 2024. Regie und Buch: Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Mit: Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi. 97 Min. Jetzt im Kino.

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